MUT : BRIEF #02 - weiter geht's

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# SEELSORGE : ANDERS

MUT : BRIEF #02 - weiter geht's

"HomeOffice oder wie ich mal über einen Würfel Hefe freue" - hat Diakonin Kerstin Schneider ihren MUT : BRIEF überschrieben. Er geht per E-Mail an alle, die diese Reihe HIER abonniert haben.

Der Brief vom 1. April:

Da sitze ich nun - wie so viele Menschen - im HomeOffice an meinem Schreibtisch. Und ein Ende ist nicht in Sicht. All das, was "normal" war, liegt gefühlt eine Ewigkeit zurück. So meistere ich den Alltag, versuche HomeOffice und gleichzeitig stets ein offenes Ohr für sämtliche Frage aus den Fächern Englisch, Bio, Mathe, Physik, etc. zu beantworten ... Sie werden es eventuell kennen. Gleichzeitig nagt es an meinen Nerven, nicht zu wissen, wann dieser Zustand vorbei ist. Ganz zu schweigen von sozialen Kontakten, die momentan brach liegen. Wann sieht man die Eltern wieder? Und wie geht es Ihnen und Euch in Deutz?

In diesen Tagen bekomme ich viele Anrufe aus Deutz und ich selber telefoniere auch mehr. Ich merke im Kleinen, wie da plötzlich mehr Nähe trotz körperlicher Distanz ist. 

Das letzte Mal, dass ich in einer ähnlichen Situation war (natürlich nicht unter gleichen Bedingungen wie aktuell), war in meiner Ausbildung samt Studium zur Diakonin und Sozialpädagogin/Sozialarbeiterin. Ich befand mich in einem längeren Praktikum in der geriatrischen Abteilung des Ev. Diakonissenkrankenhauses in Witten. Und "umzingelt" von Diakonissen, die dort im Ruhestand, im sogenannten Feierabendhaus, wohnten. Mein Dienst erforderte eher die soziale Betreuung der älteren Damen und Herren im Krankenhaus als z.B. Verkündigung. Doch die wurde recht plötzlich eingefordert: Die Pflegedienstleitung, selbst Diakonisse, habe keine Zeit für die morgendlichen Andachten, so müssen die jungen angehenden Diakone her - um genauer zu sagen ich. Dies ließ mich erst verzweifeln, befand ich mich doch am Anfang meiner Ausbildung und hatte noch sehr wenig Ahnung von der Materie. Eine weitere Herausforderung war die Live-Übertragung in die Krankenzimmer. Um ein genaues Bild davon zu bekommen, stellen Sie sich eine leere (Krankenhaus-)Kapelle vor, in der vorne eine junge noch angehende Diakonin im direkten Fokus der Kamera steht. Es ist ein surreales Gefühl, da man keine direkte Reaktion auf das, was man gesagt hat, bekommt. Man ist abgeschieden von allen anderen. So begann also mein Tag mit dem unguten Gefühl der Ungewissheit. Denn erstes Feedback bekam ich erst später in den Krankenzimmern und dann wieder beim Mittagessen mit den Diakonissen. Was soll ich sagen: Sie haben mir kein einziges Mal das Gefühl geben, versagt zu haben. Eher das Gegenteil war der Fall! Heute bin ich mir nicht sicher, ob dies auch berechtigt war. Ihre Bekräftigungen und Glaube an mich ließen mich wachsen. Da war immer ein offenes Ohr und das bei einem Altersunterschied von damals an die 60 Jahre. Ihr Mitfühlen und Zuspruch tat mir gut und ließ meine Unsicherheit verschwinden. Gut zu wissen, dass da jemand ist, der Zuversicht ausstrahlt.

An manchen Tagen ist es auch heute wieder so: Genau wie ich damals in der Kapelle fern von den Menschen war, so ergeht es mir heute im HomeOffice und bei der Kontaktsperre. Erneut weiß ich nicht, was auf mich zukommt. Und genau wie in jener Zeit sind Menschen, die Optimismus und Zuspruch gerne austeilen, Gold wert. Und es gibt viele Menschen dieser Art. Gerade in der heutigen Zeit. Denn das ist das, was in der Krise ebenso wächst: Die Hilfsbereitschaft der Menschen. Da ist die junge Nachbarin, die gerne für die im Parterre lebende ältere Dame einkauft. Da ist die Nichte, die einmal mehr die Tante anruft und nach dem Befinden fragt. Und da ist genauso der 80-jährige Herr, der seinem Enkel die alten Schallpatten samt Schallplattenspieler schenkt, damit es ihm nicht so langweilig ist.

Und während ich diesen Text schreibe, brauche ich kurz Pause und gehe zu Fuß einkaufen. Auf dem Weg treffe ich eine Freundin von mir. Sonst sehen wir uns fast täglich. Ich berichte ihr eher beiläufig, dass wir leider keine Hefe zu Hause haben, aber eigentlich backen möchten. Sie zögert nicht lange und schenkt mir einen Würfel Hefe. Und ich merke, wie dankbar ich plötzlich über so eine kleine Geste der Freundschaft bin. Vor ein paar Wochen hätte ich mich ebenfalls höflich bedankt und am Ende des Tages hätte ich es bereits vergessen gehabt.

Es ist etwas Kleines, aber wenn sich dies summiert, entsteht etwas Großes. Sie werden nun zu Recht sagen, dass ich bitte mit solchen Kalenderweisheiten schweigen möge. 

Aber vielleicht ist der Stillstand der Gesellschaft, wie wir ihn gerade schmerzlich erleben müssen, auch eine Chance darüber nachzudenken, was man für sich, für seine Umgebung möchte und was nicht. 

Vielleicht werden wir nach Corona in Ansätzen anders handeln und reflektieren. 

Wenn wir am Ende des Jahres zurück auf diese Zeit schauen, woran denken wir dann als Erstes? Wahrscheinlich auf all die Sorge und Schmerz. Und dann erinnern wir und daran, wie viel Licht da auch war und wie stark wir waren. "Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen". Aus vielen kleinen Gesten wird etwas Großes. 

Ich wünsche Ihnen, dass Sie dies immer wieder erleben.  

Ihre und Eure Diakonin Kerstin Schneider 

(ANTWORT möglich an: kerstin.schneider@ekir.de)


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