02/07/2024 0 Kommentare
MUT : BRIEF #05 - "Mut ist auch De-Mut"
MUT : BRIEF #05 - "Mut ist auch De-Mut"
# SEELSORGE : ANDERS

MUT : BRIEF #05 - "Mut ist auch De-Mut"
- diesen Gedanken entfaltet Pfarrer Roger Schwind in seinem Beitrag zu unserer Reihe MUT : BRIEFE
Ein Abonnement der Reihe ist HIER möglich. Alle bisherigen Briefe sind auf der Seite "GEMEINDE : MENSCHEN" nachzulesen.
DER BRIEF vom 22. April:
In der Zeit, die wir alle nun mit diesem Virus verbringen, bin ich durch die verschiedensten Stimmungen und Gefühlslagen gegangen. Manchmal habe ich die Situation kleingeredet, manchmal wurde sie in mir groß und bedrohlich, manchmal war ich überzeugt, dass "wir" es schaffen werden, manchmal taten mir die Nachrichten aus der Welt weh. Da ist und war schon manches Durcheinander in mir - und auch in der äußeren Welt, so weit ich es verfolgen konnte. Und viele meiner Gefühlslagen fand ich in der großen Welt wieder.
Was mir da gleichzeitig Mut gemacht hat - und aber auch Mitgefühl - war meine Wahrnehmung, dass unsere Politiker durchaus anders reagiert haben als viele andere Machthaber in der Welt, von denen man in den Nachrichten hörte. Da war nicht so ein Kleinreden einer durchaus ernstzunehmenden Lage, nicht so ein Gerede von Corona als "kleiner Grippe", da war aber auch nicht das "Weltuntergangs-Kriegsgeschrei", das dann oft einsetzte. Da war eher - so habe ich es wahrgenommen - ein ernster Pragmatismus. Und ich war oft dankbar, hier zu leben und nicht z.B. in Brasilien, nicht in den USA, auch natürlich nicht in Italien, Ländern, aus denen die Bilder in den Nachrichten kamen und ich mein Mitfühlen sehr gespürt habe.
Egal, ob es wirklich so war, ich habe etwas von einer Haltung gespürt, die in Demut (übersetzt: der Haltung des Dienenden), wissend, dass es größere Mächte gibt, doch versucht, das Richtige zu tun.
Es gibt ein ziemlich bekanntes Gebet von Dag Hammarsköld, dem ehemaligen, schwedischen Generalsekretär der Vereinigten Nationen, in dem ich diese Haltung wiederfinde:
Ich sitze hier vor dir, Herr, aufrecht und entspannt,
mit geradem Rückgrat.
Ich lasse mein Gewicht senkrecht durch meinen Körper
hinuntersinken auf den Boden, auf dem ich sitze.
Ich halte meinen Geist fest in meinem Körper.
Ich widerstehe dem Drang,
aus dem Fenster zu entweichen,
an jedem anderen Ort zu sein als an diesem hier,
in der Zeit nach vorn und hinten auszuweichen,
um der Gegenwart zu entkommen.
Sanft und fest halte ich meinen Geist dort, wo mein Körper ist:
hier in diesem Raum.
In diesem gegenwärtigen Augenblick lasse ich
alle meine Pläne, Sorgen und Ängste los.
Ich lege sie jetzt in deine Hände, Herr.
Ich lockere den Griff, mit dem ich sie halte, und lasse sie dir.
Für den Augenblick überlasse ich sie dir.
Ich warte auf dich - erwartungsvoll.
Du kommst auf mich zu, und ich lasse mich von dir tragen.
Ich beginne die Reise nach innen.
Ich reise in mich hinein, zum innersten Kern meines Seins,
wo du wohnst.
An diesem tiefsten Punkt meines Wesens
bist du immer schon vor mir da,
schaffst und belebst, stärkst ohne Unterlass meine ganze Person. Und nun öffne ich meine Augen,
um dich in der Welt der Dinge und Menschen zu schauen.
Ich nehme die Verantwortung für meine Zukunft wieder auf mich.
Ich nehme meine Pläne, meine Sorgen, meine Ängste wieder auf.
Ich ergreife aufs Neue den Pflug.
Aber nun weiß ich,
dass deine Hand über der meinen liegt
und sie mit der meinen ergreifst.
Mit neuer Kraft trete ich die Reise nach außen wieder an,
nicht mehr allein,
sondern mit meinem Schöpfer zusammen.
In dieser Haltung versuche ich mich ich mich auch immer wieder einzufinden, wenn mir z.B. bewußt wird, dass wir uns in diesem Land am Anfang unseres Umgangs mit dieser Pandemie befinden.
Daran kann ich nichts machen. Aber ich kann vertrauen, dass die Kraft meines Lebensinnerens, dass Gott, der die Geschicke der Welt lenkt, schon das Richtige für mich hat.
Und ich kann versuchen, in der Hand Gottes liegend, das Richtige zu tun. Nicht zu verzweifeln, nicht zu ignorieren, nicht übermütig, sondern de-mütig zu sein: mitfühlend und vertrauend, und tätig.
Roger Schwind (Antwort möglich an: schwind@kirche-koeln.de)
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